Die Kunst, die nicht sein wollte
Cavenago begrüßt die Abwesenheit dessen, was heute gemeinhin als Straßenkunst bezeichnet wird. Er hält sie nicht für ein Zeichen von Vitalität, sondern eher für eine manieristische Form, ein stilisiertes Echo dessen, was in den 1970er Jahren in New York geschah, als Graffiti und Writing als radikale, sozial verortete Handlungen geboren wurden. Damals bedeutete das Zeichen Dringlichkeit, Bruch, eine Geste der Zugehörigkeit zu einer marginalen Gemeinschaft; heute wird es oft auf eine replizierte, konsumierte und domestizierte ästhetische Formel reduziert.
Entlang der Pipeline gibt es dafür keinen Platz. Die Zeichen, die auf den Rohren auftauchen, sind nicht der freie und persönliche Ausdruck eines Einzelnen, sondern Spuren der Arbeit, der Notwendigkeit. Es sind betriebliche Codes: Kontrollindikatoren, Wartungssymbole, praktische Anweisungen, die auf eine technische, nicht auf eine kommunikative Dringlichkeit reagieren. Darin liegt, paradoxerweise, ihre Stärke. Gerade weil sie nicht darauf angelegt sind, im künstlerischen Sinne zu "bedeuten", eröffnen sie ein Feld der Reflexion über die dünne Schwelle, die Funktion und Imagination trennt.
Cavenago dokumentiert nicht einfach eine technische Infrastruktur: Durch seine Liebe zum Detail zeigt er auf, wie die utilitaristische Geste ungewollt Formen mit visuellem Wert hervorbringen kann. Es entsteht keine Straßenkunst, sondern ein Repertoire an unpersönlichen Zeichen, die, aus ihrem technischen Kontext herausgelöst und in den Raum des Werks übertragen, mit unerwarteter ästhetischer Dichte aufgeladen werden. In dieser Lücke zwischen der Notwendigkeit, die sie hervorbringt, und dem Blick, der sie interpretiert, liegt die Reflexion des Künstlers: Kunst kann auch dort entstehen, wo sie nicht beabsichtigt war, nicht als Ausdruck eines Ichs, sondern als stille Offenbarung einer kollektiven und funktionalen Sprache.
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